Klaudia Reynicke in the 10 Swiss cinema talents! by Tages-Anzeiger

Translation:

Original text is lower in the page.

Klaudia Reynicke

You might think she's a superhero, just one with an anxiety disorder. But the way this young woman in a blue full-body suit rescues herself from her parents' broken home has something liberating, even fairy-tale-like about it. "Love Me Tender" (watch on Filmingo) by Klaudia Reynicke plays with genres and moods as a matter of course.

Born in Lima, Peru, in 1976, Reynicke's first movie experience was "E.T.," where she reportedly cried so hard in the auditorium that she couldn't see anything on the screen. She studied anthropology in Florida, later sociology in Lausanne. Today she lives in Ticino.

She cites nouvelle vague icons such as Agnès Varda as influences ("How she renewed narrative forms and visual codes is unrivaled"). Above all, she draws inspiration from other arts - the performances of Marina Abramovic or the enigmatic texts of Jorge Luis Borges.

Reynicke reacts somewhat sourly when asked about the way she stages female figures - as holistic characters. She is constantly asked about this, but in the end it is just sad proof that there is a need for more female perspectives in this business. Much more.

"I'm more interested in dark characters."

Would she put the female gaze to the test in a big-budget production about a superheroine? "Yes, but only if it's an anti-superhero. I'm more interested in dark, imperfect characters." She plans to shoot the feature film "Reinas" in Peru in the spring of 2022, she's writing with Netflix writer Diego Vega ("El Chapo") on the project "Citrus Land," set in Florida, and she's also on an international series project. That already smells pretty much like a super career.

Original article by Tages-Anzeiger (Pascal Blum, Matthias Lerf, Hans Jürg Zinsli):

Das sind die 10 grössten Talente im Schweizer Film

Von den Festival-Stars bis zum Netflix-Autor – wir sagen, welche jungen Filmschaffenden uns jetzt faszinieren. 

Eine Bestenliste, das ist auch im besten Fall eine Anmassung. Wir haben es trotzdem versucht: Hier sind die zehn Schweizer Regisseurinnen und Drehbuchautoren, deren Werke uns zuletzt umgehauen haben. Sie kommen aus allen Landesteilen und sind zwischen 35 und 45 Jahre alt. Einziges Kriterium: die Qualität ihrer Filme und Serien.

Klaudia Reynicke

Man könnte sie für eine Superheldin halten, bloss eine mit Angststörung. Doch so wie sich diese junge Frau im blauen Ganzkörperanzug aus dem kaputten Elternhaus rettet, hat das etwas Befreiendes, ja Märchenhaftes. «Love Me Tender» (schauen auf Filmingo) von Klaudia Reynicke spielt wie selbstverständlich mit Genres und Stimmungen.

Reynicke ist 1976 in Lima (Peru) geboren, ihr erstes Kinoerlebnis war «E.T.», wobei sie im Saal angeblich so sehr weinte, dass sie von der Leinwand nichts mehr sah. Sie studierte Anthropologie in Florida, später Soziologie in Lausanne. Heute lebt sie im Tessin.

Als Einflüsse nennt sie Nouvelle-Vague-Ikonen wie Agnès Varda («Wie sie Erzählformen und visuelle Codes erneuerte, ist unerreicht»). Vor allem aber zieht sie ihre Inspiration aus anderen Künsten – den Performances von Marina Abramovic oder den verrätselten Texten von Jorge Luis Borges.

Etwas säuerlich reagiert Reynicke, wenn man sie auf die Art anspricht, wie sie weibliche Figuren inszeniert – als ganzheitliche Charaktere nämlich. Danach werde sie ständig gefragt, aber letztlich sei das ja nur ein trauriger Beweis dafür, dass es in diesem Business mehr weibliche Perspektiven brauche. Viel mehr.

«Mich interessieren dunkle Figuren mehr.»

Klaudia Reynicke

Würde sie den weiblichen Blick in einer Big-Budget-Produktion über eine Superheldin unter Beweis stellen? «Ja, aber nur, wenn es sich um einen Anti-Superhero handelt. Mich interessieren dunkle, unperfekte Figuren mehr.» Im Frühling 2022 will sie in Peru den Spielfilm «Reinas» drehen, mit dem Netflix-Autor Diego Vega («El Chapo») schreibt sie am Projekt «Citrus Land», das in Florida spielt, und an einem internationalen Serienprojekt ist sie ebenfalls dran. Das riecht schon ziemlich nach Superkarriere.

Marie-Eve Hildbrand

Nach 40 Jahren schliesst ein Hausarzt seine Landpraxis, übernehmen will sie niemand. Die Waadtländerin Marie-Eve Hildbrand entwickelt aus dieser Situation ihre erste lange Doku «Les guérisseurs». Dieses Wochenende ist sie online am Visions du Réel zu sehen (hier schauen).

Mit dem Pitch hat sie 2018 den Migros-Dokfilm-Wettbewerb gewonnen, die Dreharbeiten fanden statt, bevor die Pandemie alles bestimmte. Aber die Frage, wo im Gesundheitswesen noch Platz ist für das Menschliche, ist seither eher noch dringender geworden. «Les guérisseurs» kommt als sensible Beobachtung also wie gerufen, denn dieser Film bewegt: Hier der geduldige Umgang mit den Senioren in der Praxis, dort der Ausbildungsstress von angehenden Assistenzärztinnen und -ärzten – und nirgendwo einfache Antworten.

Mats Frey

Er ist bisher der einzige Schweizer, der für Netflix schreibt. Der 34-jährige Mats Frey gehört zu den Autoren von «How to Sell Drugs Online (Fast)» (hier schauen), einer deutschen Dramedy nach amerikanischem Vorbild: schnell und gewagt. Ein Schüler beginnt, übers Netz Drogen zu verkaufen. Die dritte Staffel ist schon fertig, laut Mats Frey ein Zeichen, dass der Streamingdienst die Serie als Erfolg wertet. Die genauen Viewing-Zahlen kennt nicht einmal er.

Der ehemalige «Bestatter»-Autor mag es, wenn Comedy emotional wird, inspirieren lässt er sich von US-Serien wie «Scrubs» oder «Silicon Valley». Damit die Zuschauer mit den Figuren mitgehen, müssen sie «loveable» und «likeable» sein, sagt Frey, der die Zürcher Kunsthochschule absolviert hat und früh wusste, dass er Serienautor werden will. Über die Ausbildung in «Serial Storytelling» an der International Film School in Köln kam dann auch der Kontakt zu Netflix zustande.

«An Serien fasziniert mich der Writers’ Room, also das gemeinsame Schreiben», sagt Frey. Netflix hebt die Arbeit auf eine ganz andere Bühne, so sei «How to Sell Drugs Online (Fast)» auch an Orten sehr gut angekommen, wo zum ersten Mal deutscher Content konsumiert wurde, wie beispielsweise in Kolumbien.

«Man kann nicht mitmachen, wenn man nur in der Schweiz hockt.»

Mats Frey

Bleibt die Schweiz im Streaming-Boom aussen vor? «Eine Zeit lang gab es nur den ‹Bestatter›, mittlerweile hat sich das geändert.» Das Grundproblem: «Man kann nicht mitmachen, wenn man nur in der Schweiz hockt.» Netflix wolle junge, mutige und popkulturell interessierte Leute. «Und mit Amazon oder Disney+ kommt jetzt ein riesiger Hunger nach noch mehr freshen Serien.»

Ende Jahr bringt Frey erst mal eine neue SRF-Sky-Serie: «Tschugger» ist eine Polizei-Komödie. «Auf Walliserdeutsch, von der Tonalität her aber eher wie‹Fargo›.»

Cyril Schäublin

Schon lange war kein Kinofilm mehr so lustig anders und dabei so schweizerisch. «Dene wos guet geit» (schauen auf Play Suisse) des 1984 geborenen Zürchers Cyril Schäublin entpuppte sich als Kapitalismus-Komödie mit Sinn für alltägliche Wunderlichkeiten.

Viele Freunde des Regisseurs spielten mit, das will Schäublin wieder so machen, wenn er im Sommer seinen nächsten Film, «Unrueh», dreht. Diesmal nicht in Zürich, sondern im Berner Jura und mit Blick zurück auf das Jahr 1877, als sich die ersten Schweizer Anarchisten in den Uhrmacherbetrieben der Region organisierten. Schäublin kommt selbst aus einer Uhrmacherfamilie, doch wenn er über sein Projekt redet, über «Zeit und Organisation», die grossen Ideen im Kleinen, merkt man: Das wird eher kein Ahnenporträt, sondern wieder eine kühne Betrachtung von System und Subversion.

Kantarama Gahigiri

Ein Astronaut recht Laub, wo ist denn das? Hier bei uns, die Kurzkoku «Ethereality» der Schweiz-Ruanderin Kantarama Gahigiri thematisiert das Fremdsein im Land. Richtig ambitioniert wird jetzt ihr Spielfilmprojekt «Tanzanite», das sie gerade schreibt und in Kenia drehen will. Ein futuristischer Öko-Thriller, in dem ein Mädchen einen Edelstein mit speziellen Kräften findet. Bereits ist das französische Orange Studio eingestiegen.

«Tanzanite» ist geprägt von Science-Fiction und Afrofuturismus, sagt Gahigiri, die wegen ihrer Idee bereits nach Cannes und Berlin eingeladen wurde. In der Imagination sieht die Regisseurin generell eine Kraft der Veränderung. In einem TEDx-Vortrag bezeichnet sie die Kultur als «Software», mit der wir uns eine gemeinsame Zukunft ausmalen können.

Gahigiri hat eine intensive Art, über diese Dinge zu reden. Auf Instagram wurde sie im Zug von «Black Lives Matter» politisch lauter. Inzwischen wird sie von Versicherungen engagiert, um Vorträge über strukturellen Rassismus in der Schweiz zu halten.

Die Regisseurin stellt ein neues Bewusstsein fest, auch auf dem afrikanischen Kontinent, wo derzeit viel neue Kunst entstehe. Die 45-Jährige war immer wieder in afrikanischen Ländern, der Genozid in Ruanda aber hat sie stark verstört. Erst später fuhr sie wieder hin und sah, wie sich das Land entwickelt hatte. «Und ich habe realisiert, dass ich in Afrika viele Dinge finde, die mir in der Schweiz fehlen.»

Maya Kosa und Sergio da Costa

Gibts nur zu zweit: Die beiden Mittdreissiger Sergio da Costa und Maya Kosa haben die Filmschule Head in Genf abgeschlossen und arbeiten derzeit an einem Spielfilm über eine Chinesin mit Albinismus, die in Lissabon einen Massagesalon betreibt – bis sie eines Tages ein sehr sonderbares Angebot bekommt.

Das Duo dreht dokumentarische Fiktion in einem Stil, der in der Schweiz wenig verbreitet ist: anti-psychologisch und formal konsequent, aber doch immer mit Wärme. So wie in «L’île aux oiseaux», wo ein kranker junger Mann den flügellahmen Vögeln in einer Pflegestation hilft. Gemacht mit liebevollem Blick auf Menschen wie auf Tiere.

Delphine Lehericey

Vielseitiger gehts kaum. Delphine Lehericey, geboren 1975 in Neuenburg, begann ihre Karriere als Theaterschauspielerin und Videokünstlerin, später arbeitete sie als Szenaristin für eine Comicserie. «Ich musste immer schon verschiedene Dinge gleichzeitig tun», erklärt die Filmemacherin. «Daraus beziehe ich meine Inspiration für fiktive Geschichten.» Wobei sich das Dokumentarische und die Fiktion bei Lehericey oft mischen.

Mit «Le milieu de l’horizon» (schauen auf Vimeo) gewann Lehericey 2020 den Schweizer Filmpreis. Das Drama um eine Westschweizer Bauernfamilie im Hitzesommer 1976 war ein Bilderrausch, erzählt als Coming-of-Age-Geschichte eines Teenagers und formidabel gespielt vom damals erst 15-jährigen Luc Bruchez.

Sie möge es nicht sonderlich, wenn Filme im Rahmen eines Wettbewerbs gegen andere Filme antreten müssten, sagt die Regisseurin. Aber die Auszeichnung habe ihr schon für die Finanzierung ihres nächsten Films geholfen. Der wird «Last Dance» heissen und soll – Überraschung! – eine Komödie werden.

Wobei Lehericeys Entdeckung Luc Bruchez, dem von vielen eine internationale Karriere à la Kacey Mottet Klein vorausgesagt wird, auch wieder mitspielt. «Ich bin froh, dass Luc weitermacht und dass seine erste Filmerfahrung ihn nicht traumatisiert hat.» So sei es dann ein logischer Schritt gewesen, ihm eine Rolle auf den Leib zu schreiben, die er gut spielen könne.

Joder von Rotz

Eine Raben-Dame arbeitet als Putzkraft im Schaltraum des Schicksals; dort ist vorgesehen, dass ein Mann von einem Bus überfahren wird. Die Heldin versucht das zu verhindern und greift heimlich ins Programm ein, macht aber alles bloss schlimmer.

«Little Miss Fate» ist ein animierter Kurzfilm aus Bern, eine surreale Mischung aus Kinderstil und Körperhorror à la David Cronenberg. Joder von Rotz ist verantwortlich für Drehbuch und Regie. Letzten September lief «Little Miss Fate» am Fantoche und gewann den High Risk Swiss Award, danach ging er auf Welttournee.

Von Rotz wurde 1987 im Obwaldner Kerns geboren. «Ich habe schon als Kind gern gezeichnet und eine Lehre als Hochbauzeichner gemacht.» Dort musste er allerdings nach Vorschriften zeichnen. Als er sich weiterbilden wollte, entdeckte von Rotz die Animationsabteilung der Hochschule Luzern. «Ich habe gemerkt: Das ist es.»

Mit drei Mitstudenten gründete von Rotz 2013 das YK Animation Studio, ihr Einstieg war der «Molly Monster»-Film von Ted Sieger. Seither macht das Studio Erklärvideos und Werbeclips, hauptsächlich aber Kurzfilme wie «Little Miss Fate». «Ich wäre daran interessiert, eine animierte Serie zu machen», sagt Joder von Rotz. «Aber es fehlt in der Schweiz noch ein wenig das Fachwissen. Und der Mut, so etwas zu finanzieren.»

Silvan und Ramon Zürcher

Wie aus dem Nichts tauchte 2013 «Das merkwürdige Kätzchen» von Ramon und Silvan Zürcher auf. Die Zwillinge aus dem Berner Seeland studierten an der Film- und Fernsehakademie Berlin. Ursprünglich war ihr Erstling nicht mehr als eine Seminararbeit – aber mit unverwechselbarem Stil und einer schon fast beängstigenden Meisterschaft in der Personenskizzierung.

Jetzt ist der Nachfolgefilm da. «Das Mädchen und die Spinne» trägt wieder ein Tier im Titel, und erneut stehen Menschen im Zentrum, die ein und aus gehen. Es sind fast beiläufige Beobachtungen, die sich zu einem kunstvollen Ganzen ergänzen. An der Berlinale im März gab es gleich den Regiepreis in der Sektion «Encounters». Geplanter Filmstart: 15. Mai.

Katharina Wyss

Katharina Wyss wuchs in Freiburg auf, mit 19 studierte sie in Berlin Philosophie und dann Film. Wieder fast 19 Jahre später kehrte sie zurück, um in der alten Heimat ihren ersten Spielfilm zu drehen. Das hat also eine Weile gedauert. Aber es hat sich gelohnt.

«Sarah joue un loup-garou» (schauen auf Vimeo) ist ein faszinierender Film über eine Jugendliche, manchmal wird er als Horrorschocker bezeichnet, manchmal als Familienporträt. Dieser «Werwolf» hatte 2017 in Venedig Premiere, aber noch jetzt erscheinen lobende Kritiken wie kürzlich in England («A biting drama about theatre and teenage terror», «Guardian»). Katharina Wyss sitzt schon lange am nächsten Projekt.

«Wenn es 2023 wird, ist es auch nicht schlimm.»

Katharina Wyss

«Man wird natürlich mit einem Label versehen, viele erwarten von mir, dass ich einen weiteren Film über eine junge rebellierende Frau drehe», sagt die Regisseurin. Doch in ihrem Arbeitszimmer hängen Fotos von Männern an der Wand, Skizzen von möglichen Schauplätzen. «Im Zentrum stehen Männerwelten, Geheimdienste. Es ist ein historischer Film, der in der Nachkriegszeit in der Schweiz und in Deutschland spielt.»

Begonnen mit dem Projekt hat sie bereits vor fünf Jahren. Die aufwendigen historischen Recherchen sind abgeschlossen, eine Dramaturgie gibt es auch schon. Die Dreharbeiten sollen Ende 2022 beginnen. «Wenn es aber 2023 wird, ist es auch nicht schlimm.»

Auch hier will sie sich also die nötige Zeit nehmen. Einen schönen Arbeitstitel hat das Projekt auch schon. Es heisst «A Man Called Lucy».

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